Altersarmut
Die Grundrente ist durch die drohende Verschärfung der Altersarmut ein beherrschendes Thema
Die bundesdeutsche Bevölkerung wird im Durchschnitt immer älter. Diese erfreuliche Entwicklung hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Neben einem beachtlichen Anstieg der pflegebedürftigen Menschen weisen Signale auf eine massive Ausweitung der Altersarmut hin. Der Anteil der Tafel-Nutzer ist im Bereich der Senioren signifikant in den letzten Jahren gestiegen. Dies liegt daran, dass es zahlreiche ältere Menschen gibt, deren Rente unter der Armutsgrenze liegt. Zum Reizthema der zunehmenden Altersarmut zählen bedauernswerte Fakten. Im Verhältnis zur Anzahl der Rentner sind immer weniger Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Bereits 10,3 Prozent der Renten lagen im Jahr 2006 unter der zu dieser Zeit bestimmten Armutsgrenze. Derzeit bewegt sich diese Prozentzahl in großen Schritten auf die 20 zu. Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass staatliche Hilfe von etlichen betroffenen Rentnern aus Scham nicht beansprucht wird. Losgelöst von bestimmten Euro-Beträgen liegt eine Altersarmut dann vor, wenn die Lebensführung trotz Sparsamkeit nicht mehr ohne Hilfe gelingt. Renten fallen im Durchschnitt bescheiden aus. Entwicklungen wie teure Mieten gehen an dieser Bevölkerungsgruppe nicht vorbei. Trotz starker Einschränkungen an Wohnqualität, Mobilität und Ernährung sowie Bekleidung und Kosmetikartikeln reicht das verfügbare Geld oft nicht aus. Von Café- oder Kinobesuchen ganz zu schweigen. Es bleiben jede Menge Wünsche auf der Strecke, die mit Luxus nichts zu tun haben. Dazu zählen Geschenke für Enkelkinder oder das Einkaufen frischer Produkte auf einem Wochenmarkt. So überrascht es nicht wirklich, dass die SPD im Umfrage-Tiefflug eine Grundrente fordert. Die Idee ist zwar nicht ganz neu, trifft aber jetzt stärker den Zeitgeist und die nachvollziehbaren Hoffnungen vieler Rentner.
Als Herausforderung für Politik und Gesellschaft löst die Grundrente Kontroversen aus
Von der Problematik geringer Renten sind insbesondere Frauen betroffen. Babyjahre und Erziehungszeiten sind nachträglich durch Gesetzesänderungen fairer berücksichtigt worden. Im Verhältnis zu Männern weichen die Löhne und damit die Renten im Durchschnitt jedoch immer noch ab. Eine Vorsorge für das Rentenalter fällt schwer. Das historisch einmalige Zinstief kommt dabei erschwerend hinzu. Kleinere Ersparnisse sind im Rentenfall schnell aufgebraucht. Kredite mit kleinen Raten sind dann zunächst einmal keine Seltenheit, wenn spürbare Veränderungen der Lebensqualität nicht akzeptiert werden. Anfänglich kleine Kreditsummen erhöhen sich durch Folgekosten recht schnell und werden zum Alptraum. Daher ist professionelle Hilfe nötig. Wer in sogenannte Ratenfallen tappt, sollte möglichst schnell eine Schuldnerberatung in Anspruch nehmen, um aus diesem Dilemma wieder rauszukommen. Vor dem Hintergrund dieser Gesamtproblematik scheint eine Grundrente zur Minderung der existenziellen Not mehr als angebracht. Auf dem Weg dorthin scheiden sich jedoch wieder einmal die Geister der Parteien. Dies beginnt mit der unausweichlichen Frage nach der Finanzierung einer Grundrente von 1000 Euro. Ein noch größerer Knackpunkt scheint die Frage des Berechtigten-Kreises zu sein. Die SPD möchte jedem Niedrig-Rentner nach einer mindestens 35-jährigen Beitragszahlung in die gesetzliche Rentenkasse die Grundrente gewähren. Die CDU, von dem losgetretenen Thema konzeptlos auf dem linken Bein erwischt, besteht auf einer Bedürftigkeitsprüfung. Skeptiker behaupten sogar, durch die Grundrente für alle würden Faulenzer gefördert. Die harte Grenze der Beitragsjahre wirft weitere Fragen auf. Danach erhielte ein Rentner durch einen einzigen fehlenden Beitragsmonat keine Grundrente. Eine flexiblere Grenzziehung wäre sozialverträglicher und gerechter. Zur Frage der Bezahlung sollte nicht ignoriert werden, dass die Anzahl der deutschen Millionäre ebenso wie die Steuereinnahmen Rekordhöhen erreicht haben. Zahlreiche deutsche Unternehmen verzeichnen außerordentliche Gewinne. Nicht nur für einen Harz IV-Bezieher ist es unverständlich, dass große Unternehmen in Deutschland keine Steuern bezahlen. Damit entziehen sie sich den sozialen Verpflichtungen. Schließlich entstehen beim Produkttransport der Unternehmen teure Abnutzungen von staatlich finanzierten Transportwegen. Solidarität zum Rest der Gesellschaft scheint trotzdem nicht gefragt zu sein. Bei allem Verständnis für die Konkurrenzfähigkeit zu internationalen Unternehmen besteht in der sozialen Problematik Änderungsbedarf.
Die Strategien der Parteien belasten notwendige Lösungen für eine Grundrente
Die fast schon traditionelle Zerstrittenheit der Großen Koalition findet auch in der Frage der Grundrente ihre destruktive Fortsetzung. Die Grundposition bei der Grundrente muss sich gravierend vom Standpunkt anderer Parteien unterscheiden, so der Eindruck. Gegenargumente werden nicht akzeptiert. Bewegungen, die einen Kompromiss ermöglichen könnten, sind jedenfalls nicht erkennbar. Ideologische Grundüberzeugungen oder Klientelpolitik scheinen dies zu verhindern. Für die um sozialpolitische Themen ringende SPD könnte die Grundrente zum Rettungsanker für das Parteidesaster werden. Erste Reaktionen einzelner CDU-Politiker waren fast schon durch fehlendes Verständnis für den Vorschlag der SPD gekennzeichnet. Die Brisanz des Themas, wovon Millionen Menschen betroffen sind, sorgte allerdings bald wieder für einen positiven Unterton. Einen weiteren Sturmlauf unzufriedener Menschen wie beim Thema Umweltschutz möchte niemand riskieren. Bei allen taktischen Manövern werden eine intensive sachliche Betrachtung und der Rat von Sachverständigen nicht zu umgehen sein. Arbeitsminister Heil (SPD) begründet das Weglassen einer Bedürftigkeitsprüfung hauptsächlich damit, dass peinliche Überprüfungen abschrecken. Wer staatliche Hilfe aus Scham bislang nicht in Anspruch genommen hat, wird eine Bedürftigkeitsprüfung ebenso wenig über sich ergehen lassen. Die Unionsparteien halten entgegen, dass eine Bedürftigkeitsprüfung die Finanzierungsmöglichkeit verbessere. Außerdem müsse eine Grundrente nicht zwingend gewährt werden, wenn der Ehepartner beispielsweise 5.000 Euro verdiene. Nicht besonders hilfreich für die Vorstellung der Grundrente durch Hubertus Heil war die Botschaft des Finanzministers. Parteigenosse Olaf Scholz sprach von der Finanzierung der Grundrente durch Steuern und machte damit für Kritiker das nächste Fass auf. Die Strategie der SPD scheint sich verändert zu haben. Anstelle von Beiträgen zu Verbesserungen der gemeinsamen Koalitionsarbeit soll die Zustimmung der Wahlbevölkerung zur SPD durch erkannte Unterschiede steigen. Ein heftiger Konflikt um die von Millionen Rentnern erhoffte Grundrente muss daher nicht um jeden Preis vor Wahlterminen beendet sein. Von Seiten der CDU erfolgte die Polarisierung zum Thema
Bedürftigkeitsprüfung recht früh durch die Spitzenvertreter Merkel und Kramp-Karrenbauer. Es scheint mehr als fraglich, ob beim heiklen Thema Grundrente die gezeigte Kompromisslosigkeit Bestand halten kann.
Ohne eine Grundrente drohen soziale Spannungen und eine Zunahme der Obdachlosigkeit
Jedem fünften alten Menschen droht in naher Zukunft die Armut. Bis zum Jahr 2040 gehen eine große Anzahl von Alleinerziehenden, Geringverdienern und Langzeitarbeitslosen aus Ostdeutschland in Rente. Die Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor steigt. Wohnraum wird knapper, die höhere Nachfrage führt zu Mieten, die für Niedrig-Renten nicht infrage kommen. Es ist zu vermuten, dass in den nächsten 20 Jahren nicht nur die Anzahl der Tafel-Besucher weiter ansteigen wird. Den Deutschen geht es nicht nur laut Umfragen so gut wie noch nie. Altersarmut, die sogar zur Obdachlosigkeit führen könnte, passt nicht in dieses Bild. Daher ist die Politik ultimativ zum Handeln aufgefordert – die Grundrente muss kommen. In zahlreichen Ländern wie Niederlande, Schweiz und Österreich ist sie bereits mit Erfolg eingeführt. Dabei fällt auf, dass dort keine Bedürftigkeitsprüfung nach deutschem Modell vorkommt. Die Schätzungen, wieviel Menschen im Falle einer Bedürftigkeitsüberprüfung eine Grundrente erhielten, gehen weit auseinander. Jedenfalls wären in diesem Fall die meisten Rentner enttäuscht. Die Gewerkschaften stehen daher hinter dem SPD-Vorschlag. Er verhindere nicht nur Demütigung und Entblößung, sondern sorge auch für die richtige Lösung nach einem langen Arbeitsleben. Außerdem habe bei der Union eine Bedürftigkeitsprüfung in Sachen Mütterrente keine Rolle gespielt. Es wäre mehr als vernünftig, wenn eine Einigung in den bestehenden Streitfragen zur Grundrente bald erfolgen könnte. Die Grundrente würde für einen wichtige Beitrag zum sozialen Frieden in Deutschland sorgen. Besonders ältere Menschen sorgen sich nach Umfragen stärker als noch vor einiger Zeit um die Zukunft. Unsicherheit wird durch die weltweite Zunahme an Konflikten ausgelöst. Umweltgefahren, Handelskonflikte und mögliche Kriege bis zu Diskussionen über Flüchtlinge und Rechtsextreme beunruhigen die Menschen. Angst vor Armut sollte keine zusätzliche Belastung bilden. Die Parteien sollten vor diesem Hintergrund ihre taktischen Überlegungen zur Grundrente den Bevölkerungsinteressen unterordnen. Ansonsten könnten erhebliche soziale Spannungen durch Enttäuschungen und Politikverdrossenheit auftreten.